Sonntag, 12. Dezember 2010

Offener Brief

12. Dezember 2010
Sehr geehrte Frau Vollmer,

dann sterben sie uns weg - ist das nun das Motto? Da beschäftigt sich der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages zwei Jahre lang mit dem Schicksal ehemaliger Heimkinder in den 1950er-, 1960er- und 1970-er Jahren, dann wird ein Runder Tisch eingerichtet, Sie übernehmen den Vorsitz.

Sofort haben Sie mir einen Brief geschrieben, baten mich um Mithilfe und um Informationen. Habe ich getan. Ich lieferte Ihnen Berichte. Die Mitglieder des Runden Tisches bereisten die "schlimmsten Heime", Städte und Organisationen richteten Hotlines und Internet-Seiten ein, sogar wissenschaftliche Untersuchungen wurden in Auftrag gegeben, so manche Einrichtung ging in Sack und Asche.

Und nun? Eingerichtet werden soll ein Entschädigungsfonds in Höhe von 120 Millionen Euro. Die Kosten teilen sich der Bund, die Länder und die Kirchen. Geld bekommen die Opfer aber nur nach einer Einzelfallprüfung.

Dafür sind insgesamt vier Jahre nötig gewesen? Das hätte man doch in einem Monat schaffen können! Dennoch zeigen Sie sich zufrieden und sagen laut dpa: "Ein einstimmiges Ergebnis ist immer gut."

Immer? In diesem Fall doch wohl nicht. Viele Opfer der Heimerziehung in schlimmen Zeiten sind bereits so alt, dass ihnen sicherlich die Kraft für bürokratische Auseinandersetzungen fehlt. Die schauen deswegen in die Röhre? Oder sollen solche Opfer jetzt Anwälte beschäftigen, die das kassieren, was eigentlich ehemaligen Heimkindern zusteht?

Und am  Ende steht immer die Verhöhnung von Menschen, denen man schon als Kind keine Chance gelassen hat? Ist das jetzt auch "grüne Politik"?

Wenn ich gewusst hätte, dass solch ein Ergebnis als "gutes Ergebnis" verkauft wird, hätte ich keine einzige Zeile an Sie geschrieben. Bei so was hätte ich nie mitgewirkt. Wieder wird es den Tätern leicht und den Opfern schwer gemacht.

Was für eine Schande!

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Sehr geehrter Herr Tjaden,
wenn Sie auch über das Erreichte enttäuscht sind, danke ich Ihnen trotzdem für Ihr Engagement und Ihren Mut Ihre Entwürdigung bekannt zu machen. Danke dafür!
Nach all dem Unfassbaren, dass ich in meiner Kindheit erlebte, traute ich mich nie darüber zu sprechen. Ich schämte mich. Ich fürchtete, dass, wenn ich darüber rede, die Greuel wieder kommen. Ich war immer der Überzeugung solches darf ich nicht erneut in die Welt tragen, weil es sich sonst wiederholt und andere Kinder dadurch zu Schaden kommen.
Sie haben zur rechten Zeit mit Ihrem Mut, zur kritischen Betrachtung der Geschehnisse durch die Öffentlichkeit, Politik und der Opfer gesorgt.

Heinz-Peter Tjaden hat gesagt…

Danke für Ihre Zeilen. Ich bin allerdings kein ehemaliges Heimkind, sondern in einer großen Familie aufgewachsen.